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Die böse Königin aus Schneewittchen – Ein tiefenanalytischer Blick auf Selbstwert, Schatten und die Angst vor dem Verlust

  • Autorenbild: Eveline Kogler
    Eveline Kogler
  • vor 1 Tag
  • 3 Min. Lesezeit

Unter den Märchenfiguren der europäischen Tradition sticht die böse Königin aus Schneewittchen besonders hervor. Ihre Kälte, Eitelkeit und Gnadenlosigkeit machen sie zu einer Ikone der „bösen Muttergestalt“. Doch aus tiefenanalytischer Perspektive erzählt ihre Figur weit mehr als eine schlichte Geschichte über Neid.


Sie verkörpert einen Konflikt, der tief menschlich ist: die Angst, nicht mehr zu genügen – und das verzweifelte Festhalten an einem Bild, das Halt geben soll.



Der Spiegel – das übermächtige Ideal



Der Spiegel, den die Königin befragt, ist nicht nur ein magisches Objekt. Er symbolisiert eine Instanz, die unnachgiebig bewertet – ein inneres Bild von Perfektion, das keinen Spielraum für Veränderung zulässt.


Die Königin fragt ihn nicht nach Glück, Liebe oder Erfüllung. Sie fragt nur nach Überlegenheit.


Das Märchen legt damit eine zentral-dynamische Bewegung frei:


  • Ein Selbst, das sich ausschließlich über äußere Merkmale definiert.

  • Ein Ideal-Ich, das keine Schwächen duldet.

  • Eine Identität, die von Bestätigung abhängig ist.


Der Spiegel spricht die Wahrheit – aber er spricht sie ohne Milde. Und genau daran beginnt das innere Gleichgewicht der Königin zu zerbrechen.



Schneewittchen als lebendiger Gegenpol



Schneewittchen bedroht die Königin nicht durch Bosheit, sondern durch das, was sie verkörpert:


  • Jugend

  • Unmittelbarkeit

  • Natürlichkeit

  • einen unkontrollierten, freien Lebensfluss


Diese Qualitäten stehen im scharfen Kontrast zu dem, was die Königin über Jahre aufgebaut hat: ein starres, beinahe sakrales Ideal.


Schneewittchen wird zum Spiegelbild dessen, was in der Königin verloren gegangen ist.

Nicht weil sie jünger ist – sondern weil sie lebendiger wirkt.



Narzisstische Verletzlichkeit hinter der Maske der Macht


Tiefenanalytisch betrachtet zeigt die Königin ein Muster, das häufig unerkannt bleibt:


  • nicht aufgearbeitete innere Verletzungen

  • ein fragiler Selbstwert, der sich nach außen verhärtet

  • die Angst vor Bedeutungsverlust

  • Abhängigkeit von der bewertenden Außenwelt


Die Kälte der Königin ist keine natürliche Bosheit, sondern die Folge eines Selbst, das nur bestehen kann, wenn es makellos bleibt. Die Härte schützt die brüchigste Stelle.



Der Apfel – Schönheit mit einem Kern aus Angst



Der Apfel ist eines der präzisesten Symbole des Märchens. Außen glänzend, innen zerstörerisch.


Er steht für Strategien, die nach außen attraktiv wirken, aber innerlich Schaden anrichten:


  • Perfektionismus

  • ständige Selbstoptimierung

  • das Verbergen von Unsicherheit hinter makellosen Fassaden

  • der Versuch, Kontrolle über das Unkontrollierbare zu gewinnen


Der Apfel ist deshalb weniger ein Werkzeug der Bosheit als ein Bild für Selbstentfremdung.



Der Wald – ein Raum, den die Königin nicht betreten kann



Der Wald ist im Märchen traditionell der Ort des Unbewussten – das Terrain von Gefühlen, Intuitionen, Wandlungsprozessen. Schneewittchen findet dort Schutz und Entwicklung.


Die Königin jedoch bleibt im Schloss zurück – dort, wo Ordnung und Kontrolle herrschen.


Dadurch entsteht ein weiterer symbolischer Gegensatz:


  • Wald: Gefühl, Wandlung, Natürlichkeit

  • Schloss: Kontrolle, Starrheit, Isolation


Das Märchen zeigt damit:

Wer Veränderung meidet, verliert den Zugang zu lebendigen Anteilen der eigenen Psyche.



Warum sie scheitert – und warum sie berührt


Die Königin ist eine tragische Figur, weil ihr Kampf aussichtslos ist. Sie versucht, Zeit, Natur und Lebendigkeit aufzuhalten – nicht durch Wachstum, sondern durch Kontrolle.


Tiefenanalytisch gesehen ist ihr Fall keine moralische Belehrung, sondern die Darstellung eines inneren Mechanismus:


  • Ein Selbstbild, das nicht mitreifen darf, versteinert.

  • Ein Ideal, das aus Angst entsteht, wird zur Last.

  • Schattenanteile, die nicht integriert werden, suchen sich einen Weg nach außen.


Das Märchen verurteilt sie nicht – es zeigt die Zerbrechlichkeit hinter ihrer Härte.



Fazit: Die böse Königin ist weniger „böse“ als zutiefst menschlich


Ihre Figur ist ein Symbol für innere Kämpfe, die viele Märchen kennen:

den Konflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein, zwischen Kontrolle und lebendiger Entwicklung.


Das macht die Königin zu einer der komplexesten Gestalten der Märchenliteratur. Sie ist keine reine Antagonistin, sondern ein Bild für eine Psyche, die an ihrem eigenen Perfektionsanspruch zerbricht.

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